Merkblatt und Information zur Fruchtwasseruntersuchung (Amniocentese)

1. Zweck der Amniocentese:

Wann besteht ein Grund für eine Fruchtwasseruntersuchung?

Die vorgeburtliche Fruchtwasseruntersuchung bietet die Möglichkeit, bestimmte Erkrankungen des Kindes schon während der Schwangerschaft festzustellen. Diese sind vor allem Chromosomenanomalien (z.B. Mongolismus), Missbildungen des Kopfes und der Wirbelsäule (z.B. offener Rücken) und bestimmte vererbbare Stoffwechseldefekte. Es gibt jedoch auch eine Anzahl Fehlbildungen, die durch die Amniocentese nicht entdeckt werden können (z.B. Herzfehler, Lippen-Kiefer-Gaumen-spalte, Nieren-Fehlbildungen u.a.). Einige davon können durch die davor erfolgende gründliche Ultraschalluntersuchung erkannt werden. Mit zunehmendem Alter der Mutter, möglicherweise auch des Vaters, steigt das Risiko, ein chromosomal krankes Kind zu bekommen, an.

Liegen derart schwerwiegende Chromosomenanomalien oder Stoffwechselerkrankungen vor, dass diese zu nicht behebbaren geistigen oder körperlichen Behinderungen des Kindes führen, und dies zu einer unzumutbaren Belastung der Mutter / der Eltern führt, ist ein Abbruch dieser Schwangerschaft in der Bundesrepublik gesetzlich zulässig. Eine Begrenzung auf ein bestimmtes Schwangerschaftsalter besteht nicht mehr, da dann nur noch die medizinische Indikation (Gefährdung der Mutter - auch psychisch) zählt. Es ist jedoch zu bedenken, dass ab der 24. SSW mit der Lebensfähigkeit des Kindes zu rechnen ist, was dann lebenserhaltende Maßnahmen durch den Kinderarzt erforderlich macht.

Eine Verpflichtung der Mutter, die Schwangerschaft abbrechen zu lassen, besteht nicht!

Es erfolgt in jedem Fall eine ausführliche Beratung über die Möglichkeiten und Chancen eines solchen Kindes, nach der Sie die Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen. Wir können nur beratende Funktion ausüben, auf deren Grundlage Sie Ihre Entscheidung treffen können.

2. Was sind Chromosomen?

Chromosomen sind die Träger der Erbinformation – nicht nur beim Menschen, sondern bei allen Lebewesen, die einen Zellkern besitzen. Dort liegen die Chromosomen, wie Schnüre aufgewickelt, und geben ihre Information an die Zelle ab, die ihre Funktion anhand dieser Bauanweisungen ausübt.
unsortierte Chromosomen einerZelle  
Beim Menschen liegen 23 Chromosomenpaare (je ein Chromosom von der Mutter und ein Chromosom vom Vater) vor, die bei der Zellteilung auf beide Tochterzellen verteilt werden. Dadurch werden die elterlichen Eigenschaften auf die Kinder weitergeben. Diese Teilung der Chromosomen muss sehr exakt sein, da ein Zuviel oder Zuwenig an Chromosomen meist zu Störungen in der weiteren Entwicklung bzw. zu Fehlbildungen führt.
sortierter normaler Chromosomensatz  

 

3. Durchführung der Amniocentese:

Zur Chromosomenanalyse müssen kindliche Zellen aus dem Fruchtwasser gewonnen und angezüchtet werden. Dazu werden ca. 10-20 ml Fruchtwasser mittels einer dünnen Punktionskanüle (Durchmesser 0,7 mm) durch die Bauchdecken und Gebärmutterwand hindurch aus der Fruchtwasserhöhle gewonnen. Die Punktion ist nahezu schmerzlos, ähnlich der Blutentnahme aus der Vene. Um Verletzungen des Kindes oder der Placenta möglichst auszuschließen, geschieht dies unter Ultraschallsicht. Der günstigste Zeitpunkt hierzu ist die 16. SSW. Das Anzüchten der so gewonnenen Zellen und die Chromosomen-Analyse in einem Speziallabor dauert ca. 2-3 Wochen. Das Ergebnis wird Ihnen von mir direkt mitgeteilt. Beim FISH-Test kann das Ergebnis bereits nach 2-3 Tagen vorliegen, er wird bei bestimmten Fragestellungen angewandt.

Um Verletzungen des Kindes oder der Placenta möglichst auszuschließen, geschieht dies unter Ultraschallsicht (rot=Nadel).  

Bei CTRL+Links-click öffnet sich ein Fenster und zeigt eine US-Sequenz einer Amniocentese in Echtzeit (man sieht die Nadel und die Hände vor dem quer getroffenen Körper des Kindes)

 

 

Die Punktion erfolgt an einer Stelle, wo weder das Kind noch die Placenta liegen. Daher verzichten wir auch auf eine örtliche Betäubung der Bauchdecke.

3. Mögliche Risiken und Komplikationen:

Komplikationen wie Blutungen, vorzeitige Wehen, Fruchtwasserabgang, Infektion und Fehlgeburt sind möglich, aber insgesamt selten. Das Risiko einer durch die Amniocentese bedingten Fehlgeburt beträgt etwa 0,5-1%. Fehler in der Beurteilung (z.B. durch Anzüchtung mütterlicher Zellen oder Mosaikbildung) sind sehr selten, können aber nicht absolut ausgeschlossen werden. Bei Zwillingen muss zweimal punktiert werden, dabei kann die Unterscheidung des Fruchtwassers schwierig sein, dass u.U. nur Zellen eines Kindes angezüchtet werden. Manche Neuralrohrdefekte entgehen dem Nachweis, wenn sie nur gering ausgeprägt oder überhäutet sind. In wenigen Fällen kann die Punktion des Fruchtwassers erschwert oder unmöglich sein. Wenn das Anzüchten der Zellen misslingt, muss u.U. erneut punktiert werden.

4. Verhalten nach der Amniocentese:

Der Eingriff wird ambulant durchgeführt, d.h. nach einer Ruhepause können Sie wieder nach Hause gehen. Eine häusliche Schonung in den nächsten Tagen ist zu empfehlen. Insbesondere sollten Sie
- zwei Wochen keine anstrengende Tätigkeit (z.B. Sport) betreiben
- sich evtl. für ein paar Tage arbeitsunfähig schreiben lassen
- in den ersten Tagen keinen Geschlechtsverkehr aufnehmen
- keine heißen Bäder oder Sauna nehmen, um keine Wehen auszulösen
- bei Unterbauchschmerzen, verstärkter Druckempfindlichkeit des Bauches, Wehen, Fruchtwasserabgang oder Fieber mich sofort anrufen.
- am folgenden Tag zur Kontrolluntersuchung kommen.

5. Alternativen

Die Amniocentese ist die Untersuchung mit der höchsten Zuverlässigkeit. Alle anderen Methoden müssen sich an ihr messen lassen. Sie ist jedoch mit einem geringen, jedoch nicht zu vernachlässigenden Abortrisiko verbunden. Ein weiterer Nachteil ist die relative späte Durchführung in der Schwangerschaft. Daher wurden Alternativen überlegt und eingeführt:

Die Frühamniocentese in der 14. SSW birgt ein höheres Abortrisiko und bringt keinen wesentlich Zeitgewinn.

Beim CVS ("chorionic villi sampling") wird in der 11.-12. SSW entweder über die Bauchdecke oder durch Scheide und Gebärmutterhalskanal mittels eines dünnen Katheters Gewebe (Chorionzotten) von der Placenta entnommen. Durch Direktpräparation der Chorionzotten kann das Ergebnis u.U. bereits nach 2-3 Tagen bekannt sein. Allerdings ist das Abortrisiko etwas höher, ausserdem stimmen in einem ganz geringen Prozentsatz die Chromosomen des Chorionzottengewebes nicht mit den Chromosomen des Kindes überein, sodass auch diese Methode nicht uneingeschränkt empfohlen werden kann.

Geht man nur nach dem Alter der Mutter, werden nur knapp 30% aller Kinder mit einer Trisomie bereits vor der Geburt entdeckt. Mit dem Triple-Test in der 16. SSW kann die Wahrscheinlichkeit bereits auf ca. 60 % erhöht werden. Sie bietet jedoch keine Sicherheit und kann u.U. durch die Verunsicherung der Mutter mehr Schaden als Nutzen anrichten. Daher empfehlen wir diese Untersuchung nicht mehr!
Eine interessante Neuentwicklung zeigt sich aus der Kombination von biochemischen (Blut-)Untersuchungen und Messung der
Nackentransparenz in der 11. - 14. SSW. Bei auffälliger Nackentransparenz und auffälligen Laborwerten sollen bis zu 90% aller Trisomie-21-Fälle entdeckt werden. Diese Methode ist jedoch nicht Standard und auch nicht in den Mutterschaftsrichtlinien enthalten. Sie setzt neben technischen Mindestbedingungen (hochauflösendes Ultraschallgerät) auch die persönliche Zertifizierung des untersuchenden Arztes voraus.

Seit Anfang 2013 ist es möglich, aus dem Blut der werdenden Mutter in einem hoch spezialisierte Labor Mongoloismus und weitere Trisomien nachzuweisen, die Treffsicherheit soll bei 99,8 % liegen. Die relativ hohen Kosten werden allerdings von den Kassen nicht übernommen.

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